INGE KURTZ

Vita

Portrait der Malerin und Feature-Autorin Inge Kurtz vor einem ihrer Werke

Besuch der Kunstschule in Linz. Publizistikstudium in Wien und München. Zunächst journalistisch tätig, entdeckte Inge Kurtz die Gestaltungsmöglichkeiten der akustischen Kunstformen und erarbeitete für verschiedene Rundfunkanstalten eine Vielzahl von großen Radio-Projekten, die zuweilen den herkömmlichen Programmrahmen sprengten. Zum Beispiel die Originaltoncollage „Das Dankbare Angriffsobjekt – Bericht aus einem Frauenhaus“, 1982 ausgezeichnet mit dem Deutschen Sozialpreis und dem Elisabeth Selbert Preis. Oder (zusammen mit Jürgen Geers) das Documenta-Projekt „Der Meinungscontainer - Akustische Graffiti“, eine Versuchsanordnung in der Kasseler Fussgängerzone, in der Graffitikunst, soziale Interaktion und radiophone Gestaltungsmittel eine Momentaufnahme gesellschaftlichen Bewusstseins ermöglichten (ausgezeichnet mit dem „Prix Italia“). Die Aktion „Liebes Volk“, in der 350 unbekannte Deutsche der Aufforderung nachkamen, sich im Radio an der Kunst der öffentlichen freien Rede zu üben oder die Originalton-Collage „Unter dem Gras darüber“ in der über 100 Lebensgeschichten von Zeitzeugen zu einem Abbild des 20. Jahrhunderts geformt wurden (Hörspielpreis der Kriegsblinden).

Seit 1994 verstärkt bildnerische Arbeiten in denen sich auch Elemente der Montage- und Collage-Technik, sowie Graffiti- und Comic-Elemente wiederfinden. Außerdem entstanden so genannte Pixelpaintings, eine Synthese aus Fotografien und Malerei, digital bearbeitet.

2023 erhielt sie den „Roter-Reiter-Preis“ für ihre Arbeit „Salzfluß“.

Öffentliche Ankäufe: Stadt Burghausen, Stadt Traunstein.

Inge Kurtz ist Mitglied der GEDOK München ⇗, im Kunstverein Traunstein ⇗ und der Künstlergruppe DIE BURG ⇗ in Burghausen. Sie lebt in Tittmoning - Törring (Chiemgau).

Statement

Synästhesie: Töne sehen oder Farben hören können: Ein Ghetto-Blaster erzeugt Farbwellen, ein Basquiat-Gemälde wird zur Klangwolke. Es gibt so viele Formen der Wahrnehmung. Das gefällt mir.

Warum soll ich mich auf ein einziges Ausdrucksmittel beschränken? Ob Mikrophon, Kamera, Pinsel oder Stift: auch in der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Welt bedarf es der Wahl der richtigen Darstellungsmittel zum richtigen Zweck. Ich arbeite mit Leinwand und Computer, mit Palette und Mischpult, je nach dem...

Mich interessieren Geschichten. Geschichten sind wahr oder fiktiv, ernst oder komisch. Oft alles zugleich. Manche Geschichte erfordert viel Zeit und konkretisiert sich in Worten, die andere verdichtet sich bildhaft zu einem einzigen Augenblick. Jede Geschichte sucht nach der ihr gemäßen Form, die gilt es freizulegen. Überflüssiges wird beschnitten, scheinbar Unscheinbares stärker akzentuiert. Gute Geschichten enthalten mehrere Schichten, wie der Farbauftrag in einem Bild. Von Bedeutung ist auch, was sich hinter der Gegenwart, unter der Oberfläche verbirgt. Die Ferne, so nah... Eine gute Geschichte behält ein Geheimnis zurück, ein gutes Bild auch. Nur ungelöste Rätsel erregen die Phantasie.

In meinen Radioarbeiten, wie in meinen Bildern finden sich Elemente des Portraits. Aber kein Portrait fasst einen Menschen ganz. Ein Abbild ist immer auch ein Zerrbild, zweifach retuschiert, von der Intention des Portraitisten wie vom Auge des Betrachters. Bilder können dokmentieren, idealisieren, karikieren... In meinen Radioarbeiten fühle ich mich stärker ans Dokumentarische gebunden, aber in meinen Bildern kann ich subjektiv sein, kann werten, überzeichnen, ironisieren, polemisieren. Mit Bildern kann ich mich wehren. Auch durch Verlachen bannt man Dämonen.

Aufgabenstellung: Viele Geschichten fügen sich zu einem Gesellschaftsportrait. Charakteristische Bohrkerne ziehen aus den Sedimentschichten der Einzelschicksale. Aber auch an der bunten Oberfläche kratzen. Partyslogan: La Comédie Humaine! Dort, wo Medien und Moden zur Mentalität geworden sind, Erotik ein Event und Design das Bewusstsein bestimmt, werden Comics zu Dokumentationsformen. Heiterer Horror, trauriger Fun.

Eine Atmosphäre der Uneigentlichkeit

Die Bilder von Inge Kurtz wollen etwas erzählen. Sie wollen sogar etwas sehr dringlich erzählen. Nur - was genau? Je mehr wir uns auf sie einlassen, desto unverständlicher, ja: kulissenhafter und unwirklicher scheinen sie zu werden. Ich versuche, dieser von der Malerin gewollten Irritation etwas nachzuspüren, fürs erste ganz vorsichtig vom Boden gesicherter Tatsachen aus. Da ist zum Beispiel die Frage nach Umfeld und Einflüssen. Offensichtlich ist die Malerin von Graffitis fasziniert, auch von den Darstellungsweisen, wie sie sich in der so genannten virtual reality herausbilden; von Comics. All diese Formen sind im engeren Sinn erzählende Formen, und es ist auch nicht überraschend, dass einer der Lieblingsmaler von Inge Kurtz Jean-Michel Basquiat ist, jener New Yorker Künstler, der aus der Graffiti-Szene kam, jung starb und heute als einer der ganz Bedeutenden der Malerei des späten 20. Jahrhunderts gehandelt wird. Basquiat, wie könnte es bei einem Graffiti-Maler anders sein, war ein großer Erzähler mit Pinsel und Sprühdose. Das Erzählende, scheint mir, hat bei Inge Kurtz aber noch eine andere, eine biographische Wurzel. Als ich Inge Kurtz um 1980 herum flüchtig persönlich kennenlernte, war sie eine junge Journalistin beim Hörfunk - einem Medium für Nachrichten und für erzählte Geschichten. Jahrzehnte später trafen wir uns wieder. Da hatte sie eine Karriere als Rundfunkautorin gemacht; zusammen mit ihrem Mann Jürgen Geers hatte sie eine Unzahl von Features und Hörspielen realisiert, beide hatten sie viele Auszeichnungen, unter anderem den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhalten. Ihre und ihres Mannes Markenzeichen war eine Stilform, die man als akustische Collage bezeichnen könnte: Für eine Sendereihe zum Beispiel, die dann geschnitten und gesendet 16 Stunden dauerte, fuhr man quer durch Deutschland, führte zahllose Interviews mit Zeitzeugen, montierte Ausschnitte daraus zu akustischen Tableaus. Ziel war, das Flair, das Charakteristische eines bestimmten Milieus und einer bestimmten Zeitepoche allein durch den Zusammenschnitt dieser so genannten Originaltöne, akustisch heraufzuzaubern. Kommentare sollten sich erübrigen. Man ahnt die Analogie. Die Collage-Technik ist geblieben, geändert hat sich allerdings das Medium. Seit etwa 1994 verlagerte Inge Kurtz ihren Schwerpunkt nach und nach gleichsam vom Standbein - der Arbeit für den Rundfunk - zum Spielbein - der Arbeit im Atelier.

Das erste nun, was mir beim Betrachten der Bilder von Inge Kurtz auffiel ist die Fülle der Gegensätze, das Betonen des anscheinend Unvereinbaren: Textfragmente - Bildfragmente; Pastelltöne der lieblichsten Fraktion und Bildsignale, die schrill sind und laut; die Welt von Gewalt, Brutalarchitektur und Technik - und Gesichter und Figuren, wie von Kindern gemalt. Die Textfragmente sind wohl das erste, an dem das Auge des Betrachters hängenbleibt. Wir sind gewohnt zu lesen, wir sind auch gewohnt, Bilder zu lesen, das Auge wandert von einem Bildareal zum nächsten und wenn ein  T e x t  diese Bewegung der Aufmerksamkeit einfängt und leitet - umso besser. Wir können nicht widerstehen. Offensichtlich versuchen wir als Betrachter ununterbrochen Bedeutung aufzufinden, Zusammenhänge herzustellen, Hypothesen zu wagen, uns zu orientieren, wir sind Jäger mit den Augen und setzen voraus, uns seien Spuren gelegt.

Die Textfragmente auf den Bildern von Inge Kurtz sind für mich wie Hinweisschilder oder - eben - Spuren, sie sind erste Deutungsangebote - aber welche? Ersichtlich sind es Klischees, die uns da angedient werden, Schlagworte, Werbebotschaften, eine Welt, wird uns suggeriert, in der wir alle hip sind und happy - oder in der coole Sprüche, Platituden und ultimative Regeln unser Verhalten leiten. - Wehe, man folgt allzu naiv diesen Spuren, wehe, man glaubt diesen Anweisungen! Denn sofort folgt der Gegensatz, eine fast höhnische Verneinung. Die einmontierten Gesichter, denen wir all die Schlagworte gegebenenfalls zuordnen wollen, sind alles andere als hip und happy - oft sind sie schrill, manchmal verstörte Kindergesichter, zuweilen einfach verloren. Dann wieder schreien sie. Es gibt Ungeheuer, Waffen, Explosionen. Aus dem Lesemodus wird der Betrachter gleichsam in den Alarmzustand katapultiert, wir lesen keine Spuren mehr, wir sind mit dem Bild als Ganzem konfrontiert. Alarm, wie gesagt, vielleicht Appell. Man ist versucht zu sagen: Hier hat die Künstlerin die Dämonen aus den Horror- und Ego-Shooter-Spielen der Virtual Reality in ihre Bildwelt einfach hereingelassen. Und tatsächlich bemerkt sie in Bezug auf ihre Arbeit: Die digital kreierten Welten faszinieren sie - und beunruhigen sie zugleich. Als Malerin sieht sie sich in Konkurrenz zu ihnen. Sie will sie nicht ignorieren, sie zitiert sie herbei, weil sie zu unserer Gesellschaft, zu unserer Gegenwart gehören. Aber sie möchte sie dann doch in ihrer Fragwürdigkeit zeigen, in ihrer Leere, ihrer Bedrohlichkeit. Eines der Mittel, das sie dazu wählt, ist die Gegensätzlichkeit. Die Bildinhalte und Bildmittel, sozusagen, ironisieren sich gegenseitig, bringen sich gegenseitig ins Schweben und reduzieren sich gegenseitig zu Zitaten. Ein Irisieren, eine Atmosphäre der Uneigentlichkeit geht von diesen Bildern aus.

Eine Collage bedarf solcher Gegensätzlichkeit. Sie bedarf aber auch der Gestaltung: Das Bild muss sich zum Ganzen schließen. Sonst fehlt die Überraschung. Damit ist etwas gefordert, um das jeder Künstler sich bemüht: Das Gespür für das Bild als Ganzes: Fällt es auseinander, stimmt die Balance der Akzente? Wie reagieren die Farben aufeinander? Und so weiter... Das sind hier nicht nur äußerlich-formale Forderungen: Wenn sie die entbundene Gewalt in ihren Bildern erfolgreich formal eingefangen hat, wenn die Verlorenheit hinter dem vordergründigen Lärm der Signale spürbar geworden ist, hat Inge Kurtz, sagt sie, ihr Ziel erreicht. Zu den vielen Aspekten, die sie dabei balanciert, kommt hinzu: Wie interagieren Sprache einerseits und Bildsignale andrerseits auf ihren Bildern? Eines, sagt sie, gehe im Arbeitsprozess oft aus dem anderen hervor. Manchmal hat sie ein ausformuliertes Thema vorgegeben, dann beginnt sie auf der begrifflichen Ebene - aber oft entwickelt das Bild im Fortgang seine eigene Logik, erfordert neue Zitate, geht seiner eigenen Wege, wird losgelassen, eingefangen, freigegeben und - beendet. Das Ende soll nicht  d i e  klare eindeutige Aussage sein. Hätte sie eine solche auf Lager, würde sie einen Text schreiben. Das Ende soll und kann nur sein das Versprechen auf einen Sinnzusammenhang, der so weit ist, dass er nicht festzunageln ist, dass wir als Betrachter unsere Assoziationen von der Leine lassen dürfen - und müssen. "Kunst ist Magie" sagt Theodor W. Adorno, es ist ein Lieblingszitat von Inge Kurtz, "Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein. Kunstwerke, die der Betrachtung und den Gedanken ohne Rest aufgehen, sind keine."

Fritz Dumanski (Journalist (BR), Autor und Maler), Auszug aus der Rede zur Ausstellung im Schauraum K3, 18. August 2018